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║ 20. Neun Minuten                                                    ║
║ Donnerstag, 20. Januar 2005, 00:00                             eloi ║
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Sorgfältig isoliere ich die Lötstellen am Kabel mit selbstverschweißendem Isolierband. Den neu gekauften Kopfhörer (einer von diesen großen, hochqualitativen) umwickle ich zuerst mit Zellophan und verklebe dann die Kanten. Dann hülle ich das Ganze in eine Plastiktüte die ich mit Kabelbindern fixiere und auch wieder verklebe. Es muss absolut Luftdicht sein und ich werde keine Gelegenheit haben, das zu testen und eventuelle Fehler zu korrigieren. Ich setzte den Kopfhörer auf und schalte den Recorder an. Wie erwartet ist die Musik viel leiser als vorher, aber ich höre kein Flattern oder Zischen, was auf ein Loch oder eine undichte Stelle hinweist. Probehalber wackle ich an allen Lötstellen des fast sechs Meter langen Kabels. Kein Knistern, kein Knacken alles scheint in Ordnung zu sein. Die Kassette ist mittlerweile auch fertig bespielt. Nur ein Lied, Ludwig Hirsch' "komm, großer schwarzer Vogel" in der Interpretation von Tim Fischer. Es ist fast zwei Uhr Nachts, also höchste Zeit. Ich ziehe mir zwei weitere Pullover an, rolle das Kabel zusammen, ziehe die festen, schweren Winterschuhe an und gehe hinaus. Die Nacht ist sternenklar, eiskalt, so etwa minus fünf Grad aber dafür windstill. Der Recorder in einem, der Kopfhörer samt dem völlig überdimensionierten Kabel und den Batterien in einem anderen Stoffbeutel mache ich mich auf den Weg zur Mole. An deren äussersten Ende angekommen setzte ich mich mit dem Rücken zur Brüstung auf den Boden und packe meine Mitbringsel aus. Zuerst die Batterien in das dafür vorgesehene Fach. Die Kassette hatte ich zum Glück Zuhause schon an die Richtige Stelle gespult. Dann den Stecker des Kopfhörers in die entsprechende Buchse. Ich setze den Kopfhörer auf und drücke die PLAY-Taste. Ich klettere über die Brüstung und fülle die Stoffbeutel mit Steinen die zur Befestigung und Dekoration aussen um die Mole aufgeschüttet waren. Das Lied geht beinahe neun Minuten, mehr als genug Zeit also. Ich setze mich auf den äussersten Rand der Mole zum Wasser hin. Sorgfältig knote ich einen Beutel an jeden Schuh. Ich wickle das Kabel locker zweimal um meinen Hals, damit mir die Kopfhörer nicht im falschen Moment von den Ohren rutschen. Die Schlaufen des Kabels lege ich sorgsam auf die Brüstung, damit sich nachher kein Knoten bildet. Ich stoße beide Beutel mit den Füßen ins Wasser.
Und lasse mich hinterhergleiten.
Langsamer als erwartet zieht mich das Gewicht nach unten. Die Pullover schützen mich vor einem kältebedingten Schock und der damit unweigerlich verbundenen sofortigen Ohnmacht. Es ist stockfinster hier. Ich merke wie die Beutel auf dem Grund aufkommen. Der Klang der Musik ist kaum anders geworden und zu den letzten Klängen merke ich wie mich die Ohnmacht umarmt.
Ein paar Passanten werden am nächsten Morgen auf den Recorder und das von ihm aus ins Wasser reichende Kabel aufmerksam und verständigen die Polizei. Weil keine Spuren von Gewalt zu erkennen sind und wegen des entspannten Lächelns auf meinem Gesicht gehen die Behörden von Selbstmord aus. Sie kommt also zum Glück unbestraft davon, die Frau die mir das Leben nahm.